Die Geschichte der heiligen Maria
in einer alten äthiopischen Handschrift

Vorwort - Abkürzungen - Einleitung - Übersetzung

Vorwort

Fotos sind zu mir gekommen. Als ich die gesehen hatte, war mir klar: das muss ich machen, das ist der jetzige Sinn meines Lebens. Zufälle hatten damit ihren Sinn bekommen: dafür hatte ich das Altäthiopische studiert, dafür war ich in die marianische Literatur eingeführt worden.

Männer, ohne die ich diese Arbeit nicht hätte machen können, sind:
- der selige Prof. Dr. Michel van Esbroeck SJ, der mich in die marianische Literatur eingeführt, die Handschrift datiert und mich auf die Handschrift Ţānāsee 45 hingewiesen hat;
- Dr. Kai Beermann, der die Fotos gemacht und mir überlassen hat;
- Prälat Martin Pischel, der zuerst früher publizierte Miniaturen identifiziert und mir in jeder möglichen Weise geholfen hat;
- Prof. Dr. Peter Nagel, der mir ein Forschungsstipendium der Fritz Thyssen Stiftung für zwei Jahre vermittelt hat.

Nicht weniger wichtig sind die Frauen - die Mütter, Birgit, Regina, Venus.
Mitgearbeitet haben außer den Genannten: Annegret Marx, mein Bruder Georg Bombeck, mein Vater Johannes Bombeck. Von mir ist nur die eigentlich philologische Arbeit.
Ich wollte nur dieser einen Handschrift gerecht werden, so wie sie mir auf den Fotos begegnet ist. Wer Fragen hat, schreibe an stefan@bombeck.de!

Der äthiopische Text ist unter http://www.bombeck.de/stefan/zqm.pdf zu finden.
Wegen ihrer speziellen Probleme habe ich die Übersetzung der Urkunde I weggelassen.
Anregungen zu Änderungen in dieser Auflage verdanke ich Prof. Dr. M. Kropp.

Stefan Bombeck

Abkürzungen

BHO

Bibliotheca hagiographica orientalis, ed. Paulus Peeters (Brüssel 1910)

BLM

Ernest Alfred Wallis Budge, Legends of Our Lady Mary the Perpetual Virgin and Her Mother Hannā (Oxford - London 1933)

BMM

Ernest Alfred Wallis Budge, One Hundred and Ten Miracles of Our Lady Mary (Oxford - London 1933)

CANT

Clavis apocryphorum Novi Testamenti, ed. Maurits Geerard (Turnhout 1992)

CLMM

Enrico Cerulli, Il Libro etiopico dei Miracoli di Maria e le sue fonti nelle letterature del medio evo latino (Rom 1943)

CRNA

Carlo Conti Rossini, Notice sur les manuscrits Éthiopiens de la collection d'Abbadie, in: Journal Asiatique 181 (1912)

CSCO

Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium (342f = Äth. 66f; 351f = Äth. 68f)

DL

August Dillmann, Lexicon linguae Aethiopicae (1865)

KWCO

Julius Aßfalg, Kleines Wörterbuch des Christlichen Orients (Wiesbaden 1975)

LL

Wolf Leslau, Comparative Dictionary of Ge'ez (Wiesbaden 1987)

LThK

Lexikon für Theologie und Kirche (1957-1965)

RRALm

Rendiconti della Reale Accademia dei Lincei, Classe di scienze morali, storiche e filologiche

T 45

Handschrift Ţānāsee 45 (s. Ernst Hammerschmidt, Äthiopische Handschriften vom Ţānāsee 1 (Wiesbaden 1973), S. 188ff)

WrBM

William Wright, Catalogue of the Ethiopic Manuscripts in the British Museum acquired since the Year 1847 (London 1877)

Einleitung

"Die Geschichte der heiligen Maria" ist das, was in der Handschrift einem kurzen Titel, der auch den Inhalt angibt, am nächsten kommt. Am Anfang findet sich kein Titel für das ganze Buch, und in dem Kolophon ganz am Ende ist nur von "diesem Buch" die Rede. Aber nach etwa vier Fünfteln des Textes heißt es nach dem Ende eines Kapitels, "die Geschichte der heiligen Maria" wäre beendet, worauf mit "diese Marienpredigten von ihrer Geburt bis zu ihrer Auffahrt, und nach ihrer Auffahrt die Weihe ihrer Kirche und ihre Zeichen" der wesentliche Inhalt des Buches zusammengefasst wird.
Den Text hat Kai Beermann von der Tabor Society im Frühjahr 2000 in der Kirchenschule Betlehem bei Däbrä Tabor fotografiert. Auf den Fotos, die er mir überlassen hatte, und seinen Aussagen basieren meine Angaben.
Fotografiert worden sind alle beschriebenen Seiten in der Handschrift, je zwei auf einem Bild.1 Diese habe ich ab der ersten Miniatur als S. 1-498 durchnumeriert, zwei später eingetragene Urkunden als I und II. Die ersten neun Fotos waren Dias, deren Bilder im Orientalischen Seminar der Universität Bonn gescannt worden sind. Alle Bilder sind auf Image CD gebrannt worden, danach zugeschnitten und in Graustufen umgewandelt.
Beim Fotografieren waren die Blätter natürlich nie ganz eben und gerade. Die einzelnen Filme sind mit etwas unterschiedlichen Abständen aufgenommen worden. Im Allgemeinen waren die Fotos trotz aller Schwächen ausreichend zum Lesen und Übersetzen des Textes.

Bald hat sich herausgestellt, dass Miniaturen aus der Handschrift schon publiziert worden sind.
1957 zeigt O. A. Jäger in "Aethiopische Miniaturen" als Tafel 3, 6, 9, 12 und 15 die Miniaturen 7, 3, 4, 6 und 9. In der Legende heißt es: "... aus dem Evangeliar des Kaisers David II. (1508-1540), im Besitz der Bethlehem Kirche bei Debre Tabor". Kleine Fehler, besonders an den Überschriften, beweisen, dass die Tafeln gemalte Kopien zeigen.2
1983 zeigt St. Chojnacki in "Major Themes in Ethiopian Painting" als fig. 5a und 5b (S. 84) und fig. 140 (S. 318) die Miniaturen 4, 5 und 8. In der Legende heißt es: "Lāha Māryām, c. 1508-40 ... Bethlehem church. Dabra Tābor".3 Die Datierung stammt von Jäger.4 Die Angabe des Inhalts geht über D. Spencer, die die Miniaturen fotografiert hat, auf Priester der Kirche von Bethlehem zurück und passt besser zu den dargestellten Themen (S. 58).
1984 bespricht E. Balicka-Witakoska in "Observations sur l'iconographie de l'Annonciation dans la peinture éthiopienne"5 die Miniatur 3 (S. 151; fig. 9 auf S. 163). Anscheinend stammt die Reproduktion aus Jägers Buch, so wie die Angaben über Datierung und Inhalt.
1988 bespricht St. Chojnacki in "The annunciation in Ethiopian art"
6 dieselbe Miniatur (S. 288f; fig. 9 auf S. 335). Seine Inhaltsangabe "Lament of Mary" und die Datierung sind beibehalten.
Richtigere Angaben über Datierung und Inhalt finden sich 1993 in "African Zion"
7 unter dem Titel "Homiliary in Honor of Our Lady Mary (Dersana Maryam)" (S. 92). Aufgrund des Stils der Miniaturen wird die Handschrift auf 1400-1410 datiert und einem "palace scriptorium" des Kaisers David zugeschrieben. Gezeigt wird die Miniatur 4. Vom Inhalt werden erwähnt das Kapitel 9 (S. 230-270) mit den Miniaturen 9 und 6 (S. 321 und 213), die Kapitel 14f mit der Miniatur 10 (S. 393-423), das Kapitel 8 (S. 214-228) mit den Miniaturen 8 und 7 (S. 271 und 229) und das Kapitel 7 mit der Miniatur 5 (S. 161-211). Bei der Aufzählung der Miniaturen fehlt die erste. Mit der Vermutung, diese Marienpredigten wären für Kaiser David persönlich gemacht worden, werden Namen nicht berücksichtigt, wie sie in der Handschrift genannt werden.
Was in diesen Publikationen über den Inhalt des Textes der Handschrift angegeben wird, hat sich als falsch oder mangelhaft erwiesen.

Zur Beschreibung der Handschrift wäre zunächst zu sagen, dass sie Holzdeckel mit Leder hat, das anscheinend gepunzt ist, und ihr Beschreibstoff Pergament ist.
Zu den 498 Seiten zu addieren wären 2 mit einer Urkunde und 2 leere davor, plus höchstens je 2 leere Seiten in der ersten Lage vor der Seite 1 und in der letzten Lage nach der Seite 498. Daraus ergibt sich als Zahl der Blätter 254. Unbeschrieben sind die Seiten 24, 212, 424 und 448; die Blätter 1, 2v, 3v, 5r; die Rückseite des vorletzten Blattes und das letzte.
Kai Beermann hat die Handschrift nicht ausgemessen. In Chojnackis "Major Themes" und in "African Zion" wird eine Höhe von 30 cm und eine Breite von 22,5 cm angegeben. Nach seiner Erinnerung und aufgrund der Fotos, auf denen Finger zu sehen sind, scheint das ein bisschen zu wenig. Die Maße des Schriftspiegels kann ich nur annähernd berechnen, etwa 23,5 : 17,5 cm.
Eine Seite des Textes hat 2 Spalten, a und b. Eine volle Spalte hat 24-38 Zeilen, meist eine gleiche Zahl auf einer Seite und auf zwei Seiten nebeneinander.

Inhalt der Handschrift sind Prosatexte über die heilige Maria, die zusammen eine Vita der Gottesmutter von ihrer Empfängnis über ihre Himmelfahrt bis zu ihren Zeichen bilden, abgesehen von den letzten zwei Kapiteln. Die Titel in der Übersicht stammen aus dem Text.

Nr.

Seite


1.

2-23

Buch der Geburt der Maria

2.

26-44

Predigt von Maria, wie sie geboren wurde, wie man sie in den Tempel
hineinbrachte und wie man sie dem Josef übergab und wie sie zu Zacharias´ Haus zu seiner Frau Elisabet ging

3.

46-68

Predigt über das, was Gabriel der Maria verkündigte

4.

69-72

Erzählung, wie Maria schwanger wurde

5.

73-76

Predigt von Johannes, vom Vater

6.

78-160

Predigt, Geschichte der Weihe der Kirche, die als "des Herrn Handausstrecken" bekannt ist

7.

162-211

Predigt von Theophilos von Alexandria

8.

214-228

Geschichte der Maria und ihres Weggangs

9.

230-270

Predigt, die Kyriakos von Bahnasā hielt, über das Weinen und Klagen der Maria

10.

272-320

22. Ermahnung. Kyrillos von Jerusalem sagte sie, über die Auffahrt des Leibes unserer Herrin

11.

322-346

Predigt, die Kyriakos von Bahnasā hielt, am Tag der Auffahrt der Maria

12.

347-356

Predigt, die erzählt, wie die Geschichte der Maria gefunden wurde

13.

356-392

Geschichte der Maria und ihres Weggangs

14.

394-398

Der erste Kirchbau

15.

398-423

Predigt von Basileios von Kaisareia über den Bau der Kirche der Maria

16.

426-447

Predigt von Maria, die Johannes von Äthiopien hielt

17.

450-476

Die Zeichen der Maria (1-15)

18.

476-481

Buch der Predigt des Engels ’Afnin

19.

482-496

Predigt, die von Jerusalem ausging, ...

20.

497-498

Endkolophon



Das Buch enthält 12 mehrfarbige Miniaturen, auf den Seiten 1, 25, 45, 77, 161, 213, 229, 271, 321, 393, 425 und 449, also je vor dem Anfang eines Kapitels. Jede Miniatur hat eine rote Überschrift. Auf der Seite danach steht über der Kopfleiste eine rot geschriebene Anmerkung, außer über Kapitel 11, außerdem über Kapitel 19.
Mehrfarbig sind auch die Kopfleisten über zwei Spalten, die alle Kapitel außer 18 und 20 haben, und die einspaltigen Leisten über den Zeichen 2-7 in Kapitel 17. Zweifarbig rot und gelb sind die einspaltigen Leisten über den Zeichen 8-15 in Kapitel 17.
Rot geschrieben ist in jedem Kapitel außer 18 die erste, dritte und fünfte Zeile in den ersten beiden Spalten, in Kapitel 17 außerdem in jedem Zeichen ab 2 in einer Spalte.8
Rot sind auch regelmäßig
- die Punkte um den Viererpunkt;9
- die Zahlzeichen und die Striche darüber, Striche auch darunter in Kapitel 17 Zeichen 10 und im Endkolophon;10
- die Namen von Auftraggeber, Besitzerin und Schreiber;
- Punkte und Striche an größeren Trennern.
Ausnahmsweise rot geschrieben sind die ersten Worte eines Absatzes in 59b, 61b, 65a und 66b.
Beim Röten überblättert worden sind die Seiten 37f; übergangen worden ist das ganze Kapitel 18.

Als größere Trenner finden sich
- Zusammensetzungen aus Doppelpunkten und horizontalen Doppelstrichen am Ende eines Absatzes, oft nach "Amen", die oft die Zeile auffüllen;11
- eine einspaltige Leiste dieser Art zwischen einem Kapitel und einem Kolophon unter Kapitel 1 (23b), 5 (76b), 8 (228b), 9 (270a; 270b auch unter dem Kolophon) und 13 (392b);
ohne Kolophon unter Kapitel 7 (211a) und 12 (356a), wo sie je die Spalte auffüllt;
im Kapitel 17 unter Zeichen 8 (460b, vor einem Kolophon), 12 (470a) und 14 (473b);
- eine leere Zeile zwischen einem Kapitel und einem Kolophon unter Kapitel 2 (44a) und 15 (423a);
- eine Leiste aus einfachen Punkten und horizontalen Strichen unter Kapitel 17 (476a) und über dem Endkolophon (497a und b).

Besonderheiten in Kapitel 17 ab Zeichen 9 (461a-476a) sind
- Striche auch unter den Zahlzeichen in Zeichen 10, gar keine in 14f;
- die einspaltige Leiste unter Zeichen 12 und 14;
- Verzierungen in schwarz und rot, eine Art links auf dem Rand,12 eine unter Zeichen 13 (472a) und 14 (473b).

Nicht zum literarischen Inhalt der Handschrift gehören drei Urkunden: I und II auf den Vorderseiten leerer Blätter der ersten Lage vor S. 1, eine in Amharisch auf S. 423 nach dem Ende eines Kapitels.

Regelmäßig sieht das Zeichen für 6 nicht wie ein Z mit Kringel aus, sondern wie ein zusammengedrücktes oder auseinandergezogenes Z.
Zu tilgender Text ist weggeschabt oder mit Strichen über und unter den Buchstaben markiert. Weggeschabte Stellen sind manchmal neu beschrieben. Die weitaus längste ist 438a6-15, in einer deutlich späteren Schrift. Sonst lassen sich am Stil der Korrekturen kaum verschiedene Hände unterscheiden. Die Schrift zwischen den Zeilen und auf den Rändern ist auch wesentlich kleiner.
Spuren und Fehler lassen darauf schließen, dass der Text zum größten Teil nachgeschwärzt worden ist. So ist die Schrift in Kapitel 18 wesentlich blasser.

Der Auftraggeber des Buches nennt sich im Kolophon nach Kapitel 9 (270b7f) Gabra Krəstos. Überall sonst ist der Name getilgt und durch "deine Magd Batra ’Āron" ersetzt, wobei aber die maskulinen Bezüge stehen geblieben sind. Ursprünglich steht Batra ’Āron nur als Besitzerin des Buches im Endkolophon, jetzt auch im Kolophon nach Kapitel 1, 2, 5, 8, 13, 15 und am Ende von Kapitel 3, 10, 16, in Kapitel 17 am Ende jedes Zeichens außer 9 und 10, mitten in Kapitel 16 und Zeichen 11 und 12 in Kapitel 17. Nicht genannt ist sie in Kapitel 4, 6, 7, 9, 11, 12, 14, 18 und 19.
Der Schreiber nennt sich in 472a27
Fərekāhən. Erkennen lassen sich aber vier verschiedene Hände:
- eine erste für den größten Teil;
- eine zweite für 461-465;
- die eines Legasthenikers für Kapitel 18;
- die von Fərekāhən für den Endkolophon, die auch den Namen Batra ’Āron eingesetzt hat.

Im Endkolophon werden "unser Patriarch Matthäus" und "der Metropolit Bartolomäus" genannt, in der Urkunde I 2-4 "unser Patriarch Matthäus", "unser Metropolit Bartolomäus" und als Vater der Besitzerin Batra ’Āron ein König "David". M. van Esbroeck hat herausgefunden, dass Bischöfe und ein Kaiser mit diesen Namen 1398-1408 synchron waren. Das wäre also der Terminus ante quem. Der post quem für den Grundstock des Buches ist die Zeit des Übersetzers Abba Salāmā, nach 1350. Dahin passt auch der Stil der Schrift.

Übersetzt habe ich den äthiopischen Text mit seinen Korrekturen, soweit möglich. Meine Korrekturen sind im Apparat zu finden.
Nicht übersetzt habe ich die drei Urkunden. Deren Bearbeitung sei Spezialisten überlassen.

Fußnoten:

1Von der Seite 264 ist nur die linke Hälfte der linken Spalte aufgenommen worden.

2Vgl. den Text auf der Rückseite von Tafel 18.

3Nach Mitteilung von St. Chojnacki vom 28.7.2001 Reproduktionen von Dias von Diana Spencer.

4in: Ethiopian Manuscript Painting, in: Ethiopia Observer 4 (1960-61), 362.

5in: Proceedings of the Seventh International Conference of Ethiopian Studies. Ed. S. Rubenson (Addis Abeba 1984), 149-164

6in: Nubia et Oriens Christianus. Festschrift C. D. G. Müller (1988), 281-351

7African Zion: the Sacred Art of Ethiopia (New Haven 1993)

8In Zeichen 10 auch die siebte Zeile, die die fünfte der Spalte 463b ist.

9Umgekehrt finden sich fünf schwarze Punkte um den roten Viererpunkt im Anfang der Kapitel 3, 6, 8 und 17.

10Schwarz und über- und unterstrichen sind die später eingetragenen Zahlzeichen 310b9 und 438a10f.

11Ohne Absatz in 26a10, 214a15, 355a12 und 386b8; in 475a19 ist das Wort danach rot geschrieben.

12Regelmäßig neben einem Viererpunkt im Text, nicht auf den schmalen Rändern von 462a und 464a.